Die zweiten 25 Jahre - 1908 bis 1933
Ein Verein festigt sich - Neuanfang nach Krieg und Besatzung
Zum Jubiläum hatte die Turngemeinde 1908 eine neue Fahne erhalten, wegen der es nach dem Ersten Weltkrieg noch Ärger geben sollte. An Tod und Krieg dachte aber niemand im Überschwang des vollauf gelungenen Jubelfestes. Zwar gab es alljährlich Rekruten-Abschiedsfeiern, weil das Militär nicht auf die körperlich fitten Turner verzichten wollte, aber an Krieg und Elend glaubte eigentlich niemand. Im Gegenteil: Wilhelm Münch sorgte 1909 beim Kreisfest in Mülheim/Ruhr (vergleichbar mit den Landesturnfesten nach dem Zweiten Weltkrieg) für ein nachträgliches Geschenk zum 25jährigen, denn er kehrte als Kreisfestsieger heim. Da die sportlichen Aktivitäten in der Kupferstadt immer mehr zunahmen, entschloß die Stadt sich zum Bau einer Turnhalle am Schellerweg (heute Garagenkomplex Hülsen), die 1913 ihrer Bestimmung übergeben und auch der Turngemeinde sportliche Heimstatt wurde.
Der Erste Weltkrieg sorgte dann für eine scharfe Zäsur in der Entwicklung der STG und der anderen Stolberger Vereine. Fast alle aktiven Turner rückten ein, selbst die Jugendabteilung war im Laufe des Krieges betroffen. Es gab nur noch einen behelfsmäßigen Übungsbetrieb. Die Kriegseuphorie der ersten Wochen erhielt schnell Dämpfer, als Gefallenenfeiern auch in Stolberg zum Alltag wurden. Zu den 25 Aktiven der Tungemeinde, die an der Front starben, gehörte auch Kreisfestsieger Wilhelm Münch. Darüber hinaus kehrten viele verwundet und verkrüppelt nach Stolberg zurück ...
Kaum waren die letzten Soldaten wieder bei ihren Familien in Stolberg, da rückten die Besatzungstruppen ein und belegten alle Säle und Hallen. Lediglich die Turnhalle des Gymnasiums konnte noch - nun auch von der Turngemeinde - benutzt werden. Conrad Ostländer sowie Rudolf und Wilhelm Reinhardt setzten die ersten Impulse zur Reaktivierung des Vereinslebens. Beim Gauturnfest 1919 in Verlautenheide gehörten die Reinhardt-Brüder neben Heinrich Delasauce und Franz Beck zu den kranzgeschmückten Siegern. Erfolgreich war man auch ein Jahr später in Düren, doch wegen der STG-Fahne gab es ein Nachspiel bei der französischen Kommandantur. Die 1908 angeschaffte Fahne der Turngemeinde war in den Farben schwarz-weiß-rot gehalten, den Reichsfarben, und die waren von der Besatzung verboten worden. Ein Gauturnfest ohne Fahne war für die Turngemeinde-Teilnehmer aber nicht vorstellbar. Und so rollte man die Fahne ein, als es nach Düren ging, und dort im Festzug aus. Prompt stach sie einem französischen Offizier ins Auge, der den Vorfall meldete. Wochen später mußte Conrad Ostländer zum Rapport nach Düren. Wortgewandt kämpfte der "alte Haudegen" vor dem Kriegsgericht für seine Turngemeinde; am Ende kamen er und der Verein mit ernsthaften Ermahnungen davon ...
Trotz aller Schwierigkeiten normalisierte sich das sportliche Leben. Es schien sogar, als rückte man in den Vereinen noch enger zusammen, weil die Lebensumstände so bedrückend waren. Beim Kreisturnfest 1922 in Essen macht Heinrich Grasmehr als Zwölfkampf-Sieger erstmals auf sich aufmerksam, zwei Jahre später in Remscheid zählt mit Mathias Resch ein junger Turner zu den Siegern, der ebenfalls in den folgenden Jahren viel für die Turngemeinde tun sollte. In dem Zusammenhang seien auch Ludwig Widdor und Johann Alzer erwähnt, die sich stark im Verein engagierten.
Erwähnung verdient das erste Deutsche Turnfest der Nachkriegszeit, das 1923 in München begangen wurde. Wegen des "Ruhrkampfes" verhängten die Besatzungstruppen kurz vorher das Verbot, den Rhein zu überqueren. Dieses Verbot hielt etliche Turngemeinde-Aktive nicht davon ab, in München dabei zu sein. Der Weg in die bayrische Metropole war allerdings die reinste Abenteuertour: Bei Nacht und Nebel wurden Posten umgangen, zumeist der Rhein durchschwommen und das Ziel erreicht ...
Es kann nicht verwundern, daß es mit der Turngemeinde spürbar aufwärts ging; wer mit Tatkraft und Energie diese schlimmen Nachkriegsjahre überstand, der war auch nicht zu bremsen, als es langsam wieder besser wurde. Sportliche Erfolge der Turner waren bald eine Selbstverständlichkeit. Und es wuchs das Interesse an neuen Sportarten: 1926 wurde eine Handballabteilung ins Leben gerufen, die schnell von sich reden machte. Die erste Mannschaft konnte bis in die höchste Gauklasse aufsteigen. Auch Faustball fand viele Freunde in der Turngemeinde, die leistungsmäßig in der Region ganz vorne mitmischen konnte.
Zwei "historische" Daten aus TG-Sicht verdienen noch besondere Erwähnung: 1929 zog sich Conrad Ostländer endgültig aus dem aktiven Vereinsleben zurück. Der Initiator und Gründer, der Motor und große Rückhalt des Vereins hatte fast 45 Jahre an der Spitze der Turngemeinde gestanden; eigentlich müßig zu sagen, daß ihm im Laufe der Zeit alle Ehrungen des Vereins, im Gau, im Kreis und DT-Ebene zuteil wurden. Die Staatsplakette der Preußischen Regierung war gleichsam das Tüpfelchen auf dem "i". Bis 1932 übernahm Ludwig Widdor den Vorsitz, dann löste ihn Wilhelm Reinhardt ab, der bis dahin Oberturnwart war. Das zweite wichtige Ereignis war 1930 die Gründung einer Turnerinnen-Abteilung, die von Heinrich Grasmehr betreut wurde. Trotz sportlicher Emanzipation: Die Mitwirkung im Vorstand blieb den Damen noch einige Zeit verwehrt ...
Ein aufschlußreiches Spiegelbild für den Aufschwung in der Turngemeinde war das Gauturnfest 1931, das auf der Sportanlage Krakau am Trockenen Weiher ausgerichtet wurde. Die Teilnehmer- und Zuschauermassen sorgten für drangvolle Enge und eine Rekordbeteiligung. Niemand wusste damals, daß nur noch ein Gauturnfest folgen sollte - das "1000jährige Reich" mit "Gleichschaltung" der Vereine sowie der unselige Zweite Weltkrieg warfen noch keine Schatten voraus...
Ins Jubiläumsjahr der Turngemeinde fiel aber nicht nur die nationalsozialistische Machtergreifung, sondern auch das Deutsche Turnfest in Stuttgart. Mit Mathias Resch, Heinrich Grasmehr und Willy Triemer stellte die Turngemeinde nicht nur drei Teilnehmer, sondern auch drei Turner, die deutlich die Sieger-Punktgrenze überboten und in ihren Klassen ausgezeichnete Plazierungen erreichten. Die Rückkehr gestaltete sich zu einem Ereignis für die ganze Stadt: Der Festschrift von 1933 ist zu entnehmen, daß die drei Turnfestsieger mit klingendem Spiel durch Fahnen geschmückte Straßen zum Vereinslokal geführt wurden; auch Abordnungen anderer Sport- und Turnvereine zogen mit. Erwähnenswert ist noch die Leistung von Heinrich Krings und Mathias Huppertz. Beide waren schon längere Zeit erwerbslos, wollten aber unbedingt dem Deutschen Turnfest beiwohnen. So machten sie sich beizeiten zu Fuß (!) auf den Weg ins Schwabenland und trafen dort auch rechtzeitig ein.
Das Jubelfest der Turngemeinde bot im Oktober einen breiten Querschnitt durch das florierende Vereinsleben und stellte auch gesellschaftlich für Stolberg ein Ereignis dar. Nach Otto Brandt, Joseph Dreßen, Peter Longerich und Johann Völl erhielten auch Hubert Sieger und Ludwig Widdor den Gau-Ehrenbrief; Otto Brandt war im übrigen der einzige, der wie zuvor Vereinsgründer Conrad Ostländer den Ehrenbrief des Turnkreises und der Deutschen Turnerschaft verliehen bekam. Auch eine neue Fahne wurde zum 50jährigen Vereinsbestehen geweiht.
Schließlich gehört noch in das Jahr 1933 die erste Vergabe der Turn- und Sportabzeichen. Johann Alzer war erster Träger dieses Leistungsnachweises in Silber und in Gold; das bronzene Sportabzeichen durften Willy Triemer, Josef Meeßen, Josef Schmidt, Josef Völl, Mathias Resch, Franz und Willy Grasmehr, Hubert Conotte, Klaus Philippi, Mathias Felden, Heinrich Schorr, Fritz Notthoff, Josef Klinkhammer und Ewald Müller tragen.